München/Bamberg. Erst gab Kardinal Marx seinen Rücktrittswunsch bekannt, wenige Tage danach hat er die Antwort aus Rom. Eines dieser Zeichen sei deutlich gewesen, sagt der Theologe Martin Kirschner - das andere nicht.

Nach dem abgelehnten Rücktrittsgesuch des Münchner Erzbischofs, Kardinal Reinhard Marx, wünscht sich der Eichstätter Theologe Martin Kirschner mehr Klarheit von Papst Franziskus.

"Das Zeichen von Kardinal Marx war in der Beziehung eindeutig. Das des Papstes noch nicht", sagte der Professor für Theologie in Transformationsprozessen an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt der Deutschen Presse-Agentur.

"Was zählt sind die Taten, nicht die Worte. Und da bin ich unsicher, ob sich der Papst selbst wirklich genug der Reichweite der Krise und der Perspektive des Betroffenen ausgesetzt hat, gerade, wenn es um Deutschland geht", sagte Kirschner. "Der Aufruf zur inneren Umkehr darf kein Ersatz sein für personelle Konsequenzen, dort, wo sie nötig sind."

Papst Franziskus hatte den Rücktritt von Kardinal Marx am Donnerstag abgelehnt - überraschend und sehr schnell, weniger als eine Woche nach der Bekanntgabe des Rücktrittsgesuchs. Marx hatte wegen des Missbrauchsskandals in der Kirche auf sein Amt verzichten wollen.

Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick zeigte sich dagegen von der Ablehnung des Rücktrittsgesuchs seines Münchner Amtskollegen nicht überrascht. "Die Ablehnung des Rücktrittsangebotes von Kardinal Marx war zu erwarten. Der Papst ist souverän und hat entsprechend gehandelt", sagte er der dpa am Freitag. "Der Papst will Kardinal Marx als Erzbischof von München Freising behalten und ihm kein anderes Amt übertragen."

Interessanter als die Personalie ist aus seiner Sicht aber der Inhalt des Briefes des Papstes an Marx, den der Heilige Stuhl am Vortag veröffentlicht hatte. In ihm stelle der Papst seine Sicht der gegenwärtigen Situation der Kirche dar.

"Er verlangt Aufklärung und Aufarbeitung des Missbrauchs", betonte Schick. "Die Opfer müssen im Mittelpunkt stehen und nicht die Institutionen. Dazu braucht es radikale Bekehrung aller Einzelner zu den Werten und Tugenden des Evangeliums und auch Reform der kirchlichen Institutionen." Dabei solle Kardinal Marx "an seinem Platz" weiterhin mitwirken.

Nach dem Papstbrief gab es nicht nur positive Stimme; die Opferinitiative "Eckiger Tisch" übte deutliche Kritik: "Marx zielte mit seiner Erklärung auf die Verantwortung aller Bischöfe, auch die des Bischofs von Rom, für das System aus Missbrauch und Vertuschung, das die Katholische Kirche weltweit prägt", teilte der Verein mit. Franziskus moderiere diese erschütternde Einsicht jetzt einfach weg und entlaste damit auch sein eigenes Amt.

"Der Papst spricht von Fehlern der Vergangenheit und früherer Zeiten, aber es geht ja auch um eigene Fehler, die auch die jüngere Vergangenheit und die Aufarbeitung in der Gegenwart betreffen", sagte Theologe Kirschner. "Wenn nicht deutlich wird, dass auch die amtliche Kirche mehr gibt als schöne Worte, fürchte ich, dass das Momentum und die Freiheit verloren gehen, die Kardinal Marx mit einem Rücktrittsangebot ermöglicht hat", betonte er. "Der Papst schreibt "jede Reform beginnt bei sich selbst" - aber wenn sie dort auch schon endet, ist es kleine wirkliche Reform, zumal wenn man ein öffentliches Amt bekleidet."

Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) kündigte nach der Entscheidung des Papstes an, bei der nächsten Sitzung des Ständigen Rates solle die Lage der katholischen Kirche in Deutschland diskutiert werden. Die Aufgabe der Bischöfe sei nun: "Aufarbeiten, Bekehren, Reformieren", sagte Schick.

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